Sonntag, 14.10.2018
Sperlonga – Mondragone, 58 km, insgesamt 4078 km
Wir fahren bei wunderschönem Wetter los. Die Küste präsentiert sich prächtig. Wir durchqueren einige Straßentunnels und machen Fotostopps, da jede neue Bucht, jede Kurve neue hübsche Ein- und Ausblicke liefert.
Gaeta ist weitgehend langweilig. Wir machen eine kurze Strand- und Sandpause und fahren dann weiter die Landstraße entlang. Diese ist dank Sonntag recht verkehrsarm. Die wenigen Autofahrer, die uns sehen, winken uns fröhlich zu. Die Rennradler grüßen freundlich. Erstaunlich,wie viele Menschen von unserem Tross ein Foto oder Filmchen machen. Zum großen Teil aus den fahrenden Autos heraus. Wir haben schon Beifahrer aus dem Fenster mit der Handykamera hängen sehen oder Fahrer, die uns ganz langsam überholten und uns aus dem geöffneten Beifahrerfenster fotografierten. Ein Rennradler, der uns entgegenkommt, wendet auf der Straße, kommt hinter uns her und fragt uns, wo wir herkommen und wo wir hinfahren, bevor er wieder seines Weges fährt. Wahrscheinlich sind wir auf allen Netzwerken Italiens schon Berühmtheiten und wissen es nur nicht …
Im Niemandsland einer menschenleeren (da Saisonende) Stadt winkt uns eine Dame aus der einzigen geöffneten Trattoria freundlich zu. Wir können nicht widerstehen, kehren ein und essen Lasagne und Teigteilchen, obwohl wir doch eigentlich nur einen Cappuccino trinken wollten.
Weiter geht’s die Landstraße entlang. Abends wollen wir irgendwo in Mondragone in einem Bungalowpark übernachten, da alle Campingplätze geschlossen haben. Und davon gibt’s hier an diesem Küstenstrich mehr als genug. Doch 500 m vor dem Bungalowpark steht ein Tor offen mit einem Campingschild. Wir fahren neugierig hinein, und treffen auf ein paar Menschen, die uns freundlich einen Stellplatz zuweisen. Da die Dauercamper auf diesem Platz ihre Hütten schon winterfest gemacht haben, sieht das ganze etwas wie Favela aus. Jedoch die Stellplatzreihe direkt am Strand ist mit ein paar Wohnmobilen (die meisten aus Deutschland…) belegt. Und mittendrin schlagen wir unser Zelt auf. Der Platz ist mit einer dünnen Schicht Sand bestreut, die von einem Netz festgehalten wird. Doch schon in 5 cm Tiefe ist Betongrund. Die Heringe halten kaum, aber das Zelt steht. Das Wetter ist schön, daher braucht es keine weitere Abspannung (haha – siehe Tagebucheintrag morgen).
Wir laufen noch an den Strand, springen ins Meer und genießen einen weiteren schönen Sonnenuntergang. Das ist der Vorteil, dass wir nun an der Westküste sind: Die Sonnenuntergänge sind klasse!
Montag, 15.10.2018
Montragone – Neapel, 68 km, insgesamt 4136 km
Thema des Tages: Fahrt durch hundert Welten
In der Nacht fängt es an zu winden. Da wir in den von einer dünnen Sandschicht überzogenen Beton-Stellplatz kaum Heringe hereinbekommen haben, ist es nur unserem Körpergewicht und dem einzigen haltenden Hering zu verdanken, dass das Zelt nicht weggeflogen ist. Als wir frühmorgens von dem Sturm aufwachen, flattert uns das Innenzelt um die Ohren und vor dem Fliegengitter ist vor lauter Vorzeltplane unser Gepäck nicht mehr zu sehen. Na gut – dann stehen wir halt mal im Halbdunkeln auf, kramen unsere Sachen zusammen und verpacken das flatternde Zelt. In einem halbwegs windgeschützten Eckchen zwischen den Baracken machen wir ein schnelles Frühstück und sind so schon ungewöhnlich früh unterwegs.
Nun beginnt eine wahrhaft spannende Tour.
Zunächst nehmen wir kleine Feldwege, um die Landstraße zu vermeiden. Denn im Gegensatz zu gestern (Sonntag) ist sie heute am Montag vollgestopft mit Lastwagen. Die Feldwege werden von den dort ansässigen Bewohnern offensichtlich als Müllkippe verwendet. Für uns unverständlich. Wir fahren unmittelbar am wunderschönen Mittelmeer entlang und wähnen uns auf einer Müllhalde. Vor allem vor dem Hintergrund, dass in den Städten der Müll nach Papier, Plastik und Glas getrennt gesammelt wird und auch auf allen Campingplätzen und B&B’s strikte Mülltrennung herrschte. Hier auf dem freien Land scheint all dies nicht zu gelten und Matratzen, Kühlschränke, Altkleider, Wohnzimmereinrichtungen und sonstiger Haushaltsmüll fliegen kreuz und quer durcheinander.
Wir kommen in das Uferstädtchen Pescopagano. Eine neue Welt tut sich hier auf. Diese Stadt scheint sehr ambitioniert auf diversen Reißbrettern entworfen worden zu sein. Jedoch ist sie offensichtlich schon vor dem Erblühen wieder verblüht. Wir sehen lauter leer stehende Häuser, Bauruinen, Schilder „Vendesi“ (zu verkaufen) auf Häusern, Grundstücken und Autos. Nun gut, die Urlaubssaison ist auch hier seit Mitte September vorbei. Doch wir versuchten uns vorzustellen, wie es hier wohl in der Hochsaison aussieht und können es uns beim besten Willen nicht vorstellen, dass hier dann mehr Leben herrscht. Aus einem der wenigen bewohnten Häusern kommt ein Mann mit einer Plastiktüte heraus. Peters Kommentar: „Guck mal Mama, der wirft jetzt seinen Müll ins Gebüsch.“ Was das Kerlchen auf dieser Tour alles lernt…
Nach dem Queren eines Flüsschens tauchten wir in die nächste Welt. Lauter Orte, die mit „Pineta“ beginnen und nahtlos ineinander übergehen. Kilometerlang fahren wir die Hauptstraße – umgeben von tosendem Verkehr – entlang. Nach rechts immer wieder Abzweige zu diversen Lidos, die alle gleichermaßen uneinladend aussehen. Zwischen Gewerbegebieten, Hotels und Lidos immer wieder leichtbekleidete Frauen, die an der Straße stehen oder sitzen und ihre Dienste anbieten.
Weltenwechsel: Wir erreichen den Ort Pozzuoli. Der Verkehr bleibt übrigens bis Neapel gleichmäßig stark und laut (dafür ist Neapel immerhin berühmt). Hier können wir die Vulkanlandschaft erahnen. Es tun sich Berge auf, die als Wände von Vulkankratern erkennbar sind. Als wir die erste Steigung hinter uns haben, liegt neben uns ein kreisrunder See (aha – Vulkankrater) und der Blick weitet sich Richtung Meer. Die Küste sieht von lauter Vulkantätigkeit in vergangener Zeit zerklüftet aus.
In einer Bar rüsten wir uns für die letzten 15 km nach Neapel hinein. Es geht munter in heftiges Verkehrsgewusel in immer engeren Straßen. Es empfiehlt sich eine sehr selbstbewusste Fahrradfahrweise, sonst kommt man hier nicht mehr wirklich vorwärts. Jedoch: Für einen deutschen Bambino biondo bremsen alle Autofahrer gern. Nur vor den Rollerfahrern muss man sich in Acht nehmen. Wir umrunden das Stadio San Paolo in Fuorigrotta und müssen die letzte Steigung vor Neapel nehmen. Zur Belohnung bekommen wir am Ende eine tolle Sicht über die Innenstadt mit dem Vesuv als Sahnehäubchen oben drauf.
Durch noch engere Straßen (geradezu Gassen) kommen wir in die Innenstadt, lassen uns durch die Flanier- und Einkaufsmeilen „Via Chiala“ und „Via Vittorio Emmanuele“ schwemmen und kommen punktgenau zum vereinbarten Zeitpunkt an unserer Unterkunft am Rande der Altstadt an.
Puh!
Wir wohnen im zweiten Stockwerk eines Altbaus. Leider können wir die Fahrräder nicht unten stehen lassen, dürfen sie aber mit in unser Zimmer nehmen. Also schleppen wir sie neben unserem ganzen anderen Gepäck auch noch die Treppen hoch. Zum Glück ist unser Zimmer riesig (besteht genaugenommen aus drei Zimmern), sodass genug Platz für noch weitere 8 Räder hier wäre.
Beim Auspacken einer von Peters Satteltaschen kommt uns tatsächlich noch eine Nacktschnecke aus Rom entgegen, die als blinder Passagier die letzten Tage mitgereist ist.
Abends lassen wir uns durch die Altstadt treiben, sehen uns das Barockmonster Chiesa Gesu Nuovo an und landen in einer Pizzeria, die uns beweist, dass man in Neapel tasächlich die weltbesten Pizzen essen kann.
Dienstag, 16.10.2018
Neapel
Morgens laufen wir zum Castel Nuovo, einer etwas seltsam anmutenden Trutzburg mit 5 Türmen und einem stilistisch unpassenden Marmorportal.
Dann treffen wir Catrins Bruder Michael an der Piazza Dante. Er macht grad Urlaub in Sorrent. Zeitlich passt das prima mit unserer Ankunft hier zusammen. Wir schauen uns den Dom an mit dem Blutreliquiar von San Gennaro, bestaunen in der „Krippengasse“ San Gregorio Armeno die absonderlichsten Dinge des italienischen Geschmacks und und lassen uns dann von Michael mit seinem Leihwagen auf den Capodimonte herauffahren.
Mit dem Auto durch den Verkehr in Neapel zu fahren, ist eine ganz eigene Erfahrung. Da bewegen wir uns lieber mit den Rädern durch den Verkehr. Man nimmt einfach weniger Platz ein. Am Nachmittag fährt Michael wieder zu seinem Hotel nach Sorrent und wir nehmen noch an einer Tour durch Neapels Untergrund teil.
Zu römischen Zeiten führte ein langer, unterirdischer Aquädukt nach Neapel. Die Römer haben diverse natürliche Höhlen mit Gängen verbunden. Diese dienten lange, bis zur Choleraepidemie 1885 der Wasserversorgung Neapels. Anschließend verkamen sie zur Müllkippe, bis sie im zweiten Weltkrieg als Schutzbunker wiederentdeckt wurden.
Wir besichtigen noch die Reste des römischen Theaters, die sich unter den Kellern der dichten Wohnbebauung in der Innenstadt finden lassen.
Beim Vergleich von Neapel mit Rom ist mir (Martin) für Rom das Wort „beschaulich“ eingefallen. In Rom selbst wäre ich nie auf die Idee gekommen, Rom beschaulich zu nennen. Aber in Neapel sind die Gassen nur halb so breit wie in Rom, die Häuser wirken höher und es sind viel mehr Menschen unterwegs. Neapel ist laut, dreckig, vermüllt und stinkt. Neapel ist quirlig, lebendig und authentisch, viel weniger touristisch als Rom. In Neapel tobt das Leben in den engen Gassen. Ob mir Neapel „gefällt“, kann ich schlecht beantworten, aber es hinterlässt einen nachhaltigen Eindruck.
Mittwoch, 17.10.2018
Neapel
Heute wird ein spannender Tag. Wir fahren zum Vesuv, dem einzigen noch aktiven Vulkan auf dem europäischen Festland. Um die Ecke unserer Unterkunft sammelt uns ein Bus ein. Um die Ecke kommt ein altes, klapperiges Modell, das wohl in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts seine Blütezeit hatte.
Wir steigen ein und lassen uns eine Dreiviertelstunde lang durch ganz Neapel rumpeln, wo an diversen anderen Haltestationen weitere Leute eingesammelt werden. Nach der Haltestelle Herculaneum schraubt sich der Bus den Vesuv hoch. Peter wird es kodderig, hält aber bis oben durch. Ca. 100 Meter unter dem Kraterrand ist ein Busparkplatz, an dem wir aussteigen. Von nun an haben wir 2,5 Stunden Zeit, uns in aller Ruhe den Vesuv anzuschauen und die Vulkanatmosphäre zu genießen. Aber – welch eine Enttäuschung – der Zugang zum Wanderweg an den Krater ist verrammelt.
Auch der Schalter für die Eintrittstickets ist geschlossen. Wir stehen und schauen ratlos. Eine deutsche Touristin klärt uns auf: In den letzten Tagen ist wohl ein Felsrutsch niedergegangen, der nun noch aufgeräumt werden muss, bevor wieder Touristen in das Gebiet dürfen. Wir sehen Bagger am Berg herumfahren und einige gewichtig aussehende Leute, die das Übel begutachten. Nun ist guter Rat teuer. Wir haben 2,5 Stunden herumzubringen an einer etwas unwirtlichen Stelle Italiens. Die einzige Möglichkeit, die sich uns bietet, ist, die Straße den Berg herunterzuwandern, ein paar Landschaftsfotos zu schießen und sich an dem vulkanischen Geröll zu erfreuen. Irgendwann laufen wir mitten in ein Geröllfeld, holen den E-Book-Reader heraus und lesen „Alice im Wunderland“ vor.
Wieder oben essen wir noch unser Picknick auf und dann ist „schon wieder“ Abfahrtszeit. Den Vesuv-Ausflug verbuchen wir unter dem Kapitel Touristen-Abzocke. Denn wir sind sicher, dass alle (Fahrkartenverkäufer und Busfahrer) Bescheid wussten, dass oben auf dem Vesuv heute nicht viel los ist.
Am frühen Nachmittag sind wir wieder in Neapel. Wir steigen am ersten Haltepunkt aus (um nicht noch einmal 45 Minuten lang durch Neapel rumpeln zu müssen) und laufen durch die Altstadt zur Kirche San Lorenzo Maggiore. Dort wurden bei den Aufräumarbeiten nach dem zweiten Weltkrieg unter der Kirche Reste eines römischen Marktes gefunden, die nun besichtigt werden können. Für einen Euro Aufschlag bekommen wir sogar eine englischsprachige Führung. Das hat sich absolut gelohnt und wir können uns lebhaft vorstellen, wie es in der engen Gasse beim Bäcker, in der Wäscherei und in der Textilfärberei zugegangen sein mochte. Peter ist es noch wichtig, auch alle Räume des angrenzenden Museums zu besichtigen. Danach noch die Kirche, zur Abwechselung mal gothisch, mit der Grabstelle Katharinas von Österreich (wer auch immer das war…) bestaunt.
Und wo wir schon beim Geld ausgeben sind, gehen wir noch in die Capella Sansevero, deren vorstechendstes Merkmal die beeindruckenden Marmorfiguren (mal mehr, mal weniger freizügig) und der leicht bedeckte Jesus (auch komplett aus Marmor) sind. Der Jesus ist wirklich beeindruckend. Man meint, man könne das Tuch über Jesus anheben, jedoch ist alles aus Marmor. Zum Gruseln geht es noch in die Krypta unter der Kapelle, wo zwei menschliche Blutadern-Modelle aufgestellt sind. Gunther von Hagens lässt grüßen.
Am spannendsten daran ist noch die Legende um die Entstehung dieser beiden Modelle: Der Prinz Raimondo di Sangro als der Geldgeber der Kapelle, soll bei seinen alchimistischen Experimenten zwei seiner Diener bei lebendigem Leibe mumifiziert haben. Und vor dem Ergebnis stehen wir heute. Die Erläuterungen auf der Tafel neben den Modellen klingt viel banaler: Es handelt sich um ein mit Wachs ummanteltes Drahtmodel. Schade – so entgruselt es sich dann ganz schnell vor so einem Modell.
Nach einem Spritz in der Bar an unserer Unterkunft laufen wir noch einmal zur Piazza del Gesu, setzen uns dort in ein Restaurant und genießen mehrere Gänge eines italienischen Menüs und trinken dazu lecker Wein. Zu Martins Bedauern gibt es in dem Restaurant keinen Dessertwein.
Die Dunkelheit senkt sich über den Platz, der Zeitschriften- und Fahrkartenverkäufer schließt seinen Kiosk, die neapolitanische Jugend krakeelt laut herum, im benachbarten Fitnessstudio schwitzen die jungen Frauen, im Lastwagen neben dem Restaurant kann Blut gespendet werden und zweimal werden wir Zeuge einer Wachablösung des Militärs auf dem Platz.
Es stimmt: Neapel ist eng, laut, chaotisch, quirlig, dreckig. Wir werden Neapel morgen mit gemischten Gefühlen verlassen und nicht wirklich wissen, wie wir diese Stadt finden.
Donnerstag, 18.10.2018
Neapel – Pompei, 30 km, insgesamt 4166 km
Wir wagen uns in den tosenden Verkehr und fahren Richtung Pompei, meistens über die SS18. „Ruhige“ Parallelstraßen gibt es nicht, auch dort stehen wir oft genug zusammen mit den Autos im Stau. Aber die Autofahrer fahren fast immer schön um uns herum. Neapel verschwimmt übergangslos erst mit seinen Nachbarstädten Ercolano (Herkulaneum),Torre del Greco, Torre Annunziata und Pompei. Torre del Greco hat seinen Platz vor der Kirche mit einer gewaltigen Lichtinstallation geschmückt, die wir gerne abends gesehen hätten.
Die Straßen sind schlecht, der Asphalt bröselt oder wir rattern materialermüdend kilometerweit über grobe Pflastersteine. In einem kleinen Radladen unterwegs möchte ich (Martin) einen neuen Tacho kaufen, weil ein Wackelkontakt am Kabel vom Impulsgeber meinen Sigma zunehmend unbrauchbar macht. Leider lassen sich beide Tachos, die der Laden vorrätig hat, nicht zum Funktionieren überreden, so dass wir ohne Tacho weiterfahren. Ein paar Kilometer im nächsten Radladen gibt es dann einen funktionsfähigen Tacho.
Pompei hat in unmittelbarer Nähe zur Ausgrabungsstätte gleich vier Campingplätze zu bieten, anscheinend alle geöffnet. Wir steuern den Camping Spartakus an, klein und übersichtlich, wo wir unter Orangenbäumen unser Zelt aufschlagen.
In die Römerstadt gelangen wir ohne Schlange bei bestem Wetter und laufen die nächsten Stunden staunend durch die römischen Straßen und Häuser. Unsere E-Book-Reiseführer lotsen uns zu den wichtigsten Gebäuden. Es ist beeindruckend, sich eine ganze römische Stadt vorstellen zu können mit normalen Wohnhäusern, Läden, Handwerksbetrieben, Forum, Theater und Tempeln.